Giorgio Morandi

Im Angermuseum Erfurt: Die Morandi-Sammlung des Morat-Instituts und glanzvolle Beispiele der Stillebenmalerei vom 17. bis 20. Jahrhundert


Das einzige Interesse, das die sichtbare Welt in mir erregt, betrifft den Raum, das Licht, die Farbe und die Formen. Dieses unabgelenkte Interesse des großen Einzelgängers Giorgio Morandi (1890-1964) konkretisierte sich in Bildern, Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen, die neben landschaftlichen Motiven nichts als einige wenige, in veränderten Konstellationen des Raumes, des Lichtes, der Farbe und der Formen wiederkehrende Dinge, vorwiegend Gefäße, in stillebenhaften Anordnungen zeigen - in einer Zeit, als die Abstraktion das Monopol der künstlerischen Weltsprache innezuhaben schien. Morandis den Erscheinungscharakter der Dinge im Licht seiner Bilderzeugung reflektierendes Sehen mündet in Bildern, deren künstlerische Weltgeltung erst spät, lange nach der ersten Präsentation in Deutschland auf der documenta 1955 in Kassel, erkannt und verstanden worden ist.
Alles, was er malte, handelt von der Seherfahrung (Gottfried Boehm). Die Essenz dieser Erfahrung erschöpft sich nicht im Ästhetischen. Sie formuliert einen Anspruch und eine Haltung, die Morandi z. B. in der DDR für viele der offiziellen sozialistischen Doktrin widerstrebende Künstler als ein Richtmaß des Echten und Wahren erscheinen ließ, wie der seinerzeitige Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, Werner Schmidt, einmal schrieb. Morandi, ein legitimer Erbe der Realitätszweifel Cézannes, überträgt nicht fertige Sehdaten ins Bild, dieses antwortet vielmehr im Rückgang auf die bildlichen Elemente einer erscheinungsproduktiven visuellen Einstellung zur cosiddetta realtà, zur sogenannten Wirklichkeit, von der Morandi wortkarg sprach. Sie entzieht sich, indem sie sich zeigt.
Die Morandi-Sammlung des Morat-Instituts für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg im Breisgau ist von Franz Armin Morat unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Gleichrangigkeit der Medien Zeichnung, Malerei und Radierung im Werk Giorgio Morandis zusammengetragen worden. Die heute nahezu vierzig Werke umfassende Sammlung wird komplett und erstmals in Thüringen gezeigt.

Die Gemäldesammlung des Angermuseums verfügt über bedeutende Ensembles von Beispielen der klassischen Bildgattungen, darunter Werke von exemplarischem Rang. Sie steht damit in deutlicher Verbindung zu den großen bildgeschichtlichen Linien, welche im Rahmen der erneuerten Programmarbeit des Museums künftig verstärkt in den Blick gerückt werden sollen. Dabei wird der Bezug auf international relevante Positionen über den gegebenen Sammlungshorizont hinaus bewußt angestrebt. Erweitert wird die Ausstellung der Morandi-Sammlung des Morat-Instituts im Angermuseum Erfurt durch eine hochrangige Begleitpräsentation ausgewählter Stilleben vom 17. bis 20. Jahrhundert aus eigenem und fremdem, teils privaten Besitz, die geeignet sind, Morandis konzeptionell eigenständige, aber historisch tief verwurzelte Leistung im vergleichenden Sehen differenzierend zu verdeutlichen. Freilich sind Chardin und Cézanne, auf die Morandis eigenes Schaffen am spürbarsten zu beziehen ist, lediglich indirekt präsent. Doch stellt das Morat-Institut für die Begleitpräsentation auch zentrale Werke des österreichischen Malers Carl Schuch (1846-1903) zur Verfügung, dessen Bilder - wie zuletzt die Dortmunder Ausstellung Cézanne, Manet, Schuch sinnfällig erwiesen hat - nicht nur veritable Höhepunkte der europäischen Gattungsgeschichte des Stillebens bezeichnen, sondern den historischen Bruch wie die historische Brücke zwischen Tradition und Moderne in den Wandlungen dieser Kunstform sichtbar machen.

Wolfram Morath

Beide Ausstellungen sind im Angermuseum Erfurt, Anger 18,
vom 25. Februar bis 22. April (Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr) zu sehen.

Abbildungen
l.: Giorgio Morandi, Stilleben, 1955
r.: Carl Schuch, Käseglocke und Fruchtschale mit Trauben und Äpfeln, um 1882/84
Fotos: Hartmut Schmidt. © VG BILD-KUNST, Bonn 2000